
Stress im Studium – Grundsätzliches und Besonderheiten in Zeiten von Corona
Ein Beitrag der EFL Kiel„Jeder vierte Studierende in Deutschland fühlt sich stark gestresst" so hieß es bereits in der Barmer-Studie 2018 und die Zahl junger Erwachsener, die unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen leiden, sei von 2005 bis 2016 um 38% und speziell Depressionen um 76 % gestiegen.
Was passiert da am Übergang ins Erwachsenenalter, was überfordernd und stressig wirken kann? Inwiefern verschärft sich dies in Zeiten von Corona? Was bringt Abhilfe und Erleichterung? Diesen Themen wenden sich die nächsten zwei Beiträge zu.
Grundsätzlich gibt es immer mehrere Gründe, die zu Stress und eventuell auch in eine psychische Erkrankung führen.
Mit dem Studium beginnt ein neuer Lebensabschnitt, viele ziehen zum ersten Mal von Zuhause aus. Das bedeutet natürlich höhere Anforderungen, der eigene Haushalt muss geführt werden – mit allem „Drum & Dran": vom Einkauf, über Wäsche waschen, Ordnung halten, einrichten der Wohnung bis zu Behördenangelegenheiten. Manche haben diesbezüglich mehr, andere weniger Erfahrung. Ein Wohnortwechsel bedeutet zudem, alte vertraute Beziehungen zurückzulassen und neue soziale Kontakte aufbauen zu müssen, was leichter oder schwerer fallen kann.
Der Prüfungsdruck ist im Studium stärker als in der Schule. Hinzu kommt, dass während des Semesters wenig prüfungsvorbereitende Aufgaben oder konkrete Anweisungen gegeben werden. Das Lernen ist daher jedem selbst überlassen. Die Studierenden müssen selbst entscheiden, "wann mache ich was, wie und wieviel?". Es entsteht ein ständiges „ich könnte, sollte, müsste noch etwas tun".
Ist der Studienalltag heute stressiger als früher?
Studierende berichten, dass Noten ständig zählen und dass die Semester durchgetaktet sind. Kurz vor den Prüfungen steigen die Anstrengungen besonders. Prüfungsstress und Leistungsdruck beginnen ab dem ersten Semester. Gleichzeitig ist die Gymnasialzeit verkürzt, den Zivildienst gibt es nicht mehr und auch kaum andere Alternativen, die junge Menschen motivieren, nach dem Abitur erst einmal etwas anderes machen. Studierende sind heute somit tendenziell jünger. Hieraus ergibt sich ein Spannungsfeld, was zu mehr Druck und Stress führt: Auf der einen Seite besteht noch Abhängigkeit von den Eltern, die vielleicht stärker ist als früher, finanziell oder auch psychisch. Auf der anderen Seite müssen Studierende früher auf eigenen Beinen stehen, früher selbstständig lernen können, früher Verantwortung für die Zukunft übernehmen, sich Gedanken machen, was sie später mal arbeiten wollen.
Wie jeder mit Stress umgeht, hat mit der Persönlichkeit zu tun.
Manche haben einen Hang zum Perfektionismus, vielleicht, weil sie in der Familie oder der Schulklasse der/ die Beste waren und das aufrechterhalten wollen. An der Uni gibt es aber viele mit einem Top-NC – dieser Vergleich kann einen unter Druck setzen.
Andere tun sich schwer mit Prüfungsangst. Eigentlich ist es normal, vor Prüfungen nervös zu sein und leichte Angst hilft manchen, sich zu aktivieren. Ist aber ein bestimmter Punkt überschritten, wird es dysfunktional, man ist nicht mehr produktiv und kann die Prüfung nicht mehr gut ablegen.
Zu beachten ist auch das Phänomen der Selbstoptimierung. Viele wollen das Studium in der Regelstudienzeit schaffen, weil, so wird gehofft, dies die späteren Chancen auf den Traumjob erhöht. Gleichsam wird es als wichtig erachtet, sich persönlich zu entwickeln, ein Auslandssemester oder ein Praktikum zu absolvieren oder sich sozial oder ökologisch zu engagieren. In den Gruppen, in denen sich Studierende aufhalten, gelten je eigene Werte: aufgeschlossen oder witzig zu sein. Solche sozialen Anforderungen kommen zum Leistungsdruck dazu.
Schaut man sich diese Palette von Stressfaktoren an, fällt es schwer, mit dem Satz „lustig ist das Studentenleben" mitzugehen. Vielmehr verstärkt sich der Eindruck „anstrengend ist das Studentenleben."
Wie hat die Corona Pandemie die Situation junger Erwachsener im Studium zusätzlich erschwert?
Laut Umfrage der jüngsten Shell-Studie ist das Studieren an sich deutlich mühsamer geworden. Das Forum für Forschung & Lehre (www.forschung-und-lehre.de/lehre/wenn-das-digitale-studium-zur-belastung-wird) verzeichnet in dem Kontext aktuell einen erhöhten Bedarf an psychologischer Beratung. In der EFL Kiel verstärkt sich der Eindruck, dass das Studieren in der Pandemie insgesamt belastender geworden ist.
Durch die Corona-Ausnahmesituation findet die Lehre ausnahmslos digital statt; manche kommen leichter, andere schwerer damit zurecht. Viele Studierende belastet, dass kein Ende der Pandemie in Sicht ist und das Semester noch für einige Zeit digital laufen wird. Manche empfinden das zu leistende Arbeitspensum höher als vor der Pandemie und es gibt keine zeitlichen Puffer während der Veranstaltungen: der Plausch in der Cafeteria, der kurze Spaziergang zu einem anderen Gebäude, das gemeinsame Essen in der Mensa. Studierende sitzen somit stundenlang allein vor dem PC und wechseln von einer zur anderen Online-Vorlesung.
Der mangelnde Austausch zu anderen Studierenden stellt einen weiteren Stressfaktor dar. Es können sich Zweifel einstellen: Mache ich es richtig? Bin ich die einzige Person, die die Zusammenhänge nicht versteht? Hinzu kommen Kontaktbeschränkungen und soziale Isolation und manche sind mit ihren Problemen stark auf sich selbst zurückgeworfen. Psychische Belastungen werden insgesamt durch die Corona-Pandemie verstärkt. Existentielle Sorgen können die Gesamtsituation zusätzlich verschärfen, weil beispielsweise der Job im sozialen Bereich oder der Gastronomie weggefallen ist.
Nicht zu vergessen, die Bibliotheken sind geschlossen und zum Lernen kann nicht an die Uni/ FH ausgewichen werden. Manche haben in ihrem häuslichen Umfeld aber nicht die nötige Ruhe. Sie leben in Wohngemeinschaften, haben hier keinen richtigen Arbeitsplatz, andere haben bereits eine eigene Familie und kleine Kinder im Haushalt oder es gibt Ablenkungen in anderer Form, die das Studieren im Homeoffice erschweren.
Es ist gut, wenn Studierende sich klarmachen, dass ihre Situation nicht nur subjektiv herausfordernd ist. Es kann helfen, sich mit anderen auszutauschen oder auch Unterstützung in Anspruch nehmen, so z.B. in Beratungsstellen.
Leistungs- und Erfolgsdruck betrifft übrigens nicht nur Studierende, sondern ist generell in der Gesellschaft spürbar. Der nächste Beitrag gibt daher Anregungen zum Arbeiten im Homeoffice, zur Selbstorganisation/ -strukturierung und wie man Prokrastination, (Aufschiebeverhalten) begegnen kann. für an all diejenigen, die im Zuge der Pandemie mit den Tücken im Homeoffice einen guten Umgang finden wollen.